Die vier Aufgaben (Vier edle “Wahrheiten”)
Übersetzung des Pali-Textes durch Stephen BatchelorStephen Batchelor ist ein buddhistischer Lehrer und Autor zahlreicher Bücher. Er ist ein Vordenker des säkularen Buddhismus. Mit seiner Frau Martine... More, “Jenseits des Buddhismus”, S. 481ff. und S. 181 ff.
“Dies habe ich gehört. Der Lehrer weilte in Benares im Wildpark bei Isipatana. Da wandte er sich an die Gruppe der fünf Mendikanten.
»Da gibt es, bhikkhus, zwei Sackgassen, die jene, die fortgegangen sind, nicht verfolgen sollten. Welche zwei? Süchtigsein nach Vergnügen durch Schwelgen in Sinnlichkeit, was nieder ist, unkultiviert, passend zu einer nicht-erwachten Person, unwürdig und unerfüllend; und Süchtigsein nach Selbst-Bestrafung, was schmerzhaft ist, unwürdig und unerfüllend.
Der mittlere Weg, bhikkhus, zu dem der tathāgata erwacht ist, führt nicht zu diesen beiden Sackgassen, sondern bringt eine Sicht und Kenntnis hervor, die zu einem Zur-Ruhe-Kommen, zu in Klarheit gegründetem Verstehen, ErwachenErwachen (Pali: bodhi) wird auch übersetzt mit Erkenntnis und Wissen. Erwachen ist die Einsicht, die der Buddha durch Übung erreicht und in seiner e... More und NirvanaNirvana (Nibbana auf Pali) ist ein oft missverstandener Begriff. Das aus dem Sanskrit stammende Wort bezeichnet eine Erfahrung, frei von Reaktivitä... More beiträgt.
Und was, bhikkhus, ist dieser mittlere Weg …? Es ist genau dieser edle achtfache Pfad- das heißt umfassende Sicht, umfassende Absicht, umfassendes Sprechen, umfassendes Handeln, umfassender Lebenserwerb, umfassendes Bemühen, umfassende AchtsamkeitAchtsamkeit (Pali: sati) ist ein zentraler Begriff des Dharma, der Lehre des Buddha. Es wird auch übersetzt mit Gewahrsein, geistiger Präsenz, Bewus... More und umfassende Konzentration …
Dies ist dukkhaDukkha, meist übersetzt mit Leiden, steht für all die schwierigen und unvermeidbaren Aspekte unseres Lebens: Geburt, Alter, Krankheit, Tod, Trennung... More: Geburt ist dukkha, Altern ist dukkha, Kranksein ist dukkha, Tod ist dukkha, Ungeliebtem begegnen ist dukkha, von Liebem getrennt sein ist dukkha. Kurzum, die fünf Bündel des Anhaftens sind dukkha.
Dies ist das Entstehen (samudaya): es ist Verlangen (tanha), das sich wiederholt, im Anhaften und in Gier sich suhlt, obsessiv in diesem und jenem schwelgt – Verlangen nach Stimulanz, Verlangen nach Dasein, Verlangen nach Nicht-Dasein.
Dies ist das Aufhören: das restlose Verblassen und Aufhören des Verlangens (tanha), das Loslassen und Aufgeben hiervon, die Freiheit und Unabhängigkeit hiervon.
Und dies ist der Pfad, ein Pfad mit acht Zweigen – umfassende Sicht, umfassende Absicht, umfassendes Sprechen, umfassendes Handeln, umfassender Lebenserwerb, umfassendes Bemühen, umfassende Achtsamkeit und umfassende Konzentration.
So ist dukkha.
Es kann umfassend verstanden werden. Es ist umfassend verstanden worden.
So ist das Entstehen. Es kann losgelassen werden. Es ist losgelassen worden.
So ist das Aufhören. Es kann betrachtet werden. Es ist betrachtet worden.
So ist der Pfad. Er kann kultiviert werden. Er ist kultiviert worden.
So stieg in mir Klarheit auf über Dinge, die zuvor unbekannt waren.
Solange meine Kenntnis und meine Sicht hinsichtlich der zwölf Aspekte dieser vier nicht vollkommen klar waren, habe ich nicht behauptet, ein unvergleichliches Erwachen in dieser Welt mit ihren Menschen und Himmelswesen, ihren Göttern und Teufeln, ihren Wanderern und Brahmanen zu besitzen. Erst als meine Kenntnis und meine Sicht in Hinblick all dieser klar waren, habe ich behauptet, ein solches Erwachen erlangt zu haben.
Die Freiheit meines Geistes ist unerschütterlich. Geburt ist überwunden; das spirituelle Leben ist gelebt; was getan werden musste, ist getan; es wird keine sich wiederholende Existenz mehr geben.«
Das ist, was er sagte. Inspiriert erfreuten sich die fünf an seinen Worten. Während er sprach, stieg in Kondanna das leidenschaftslose, unbefleckte Dharma-Auge auf: »Was immer dem Entstehen unterworfen ist, ist dem Aufhören unterworfen.”